Der „Uptober“ macht seinem Namen in diesem Jahr wieder alle Ehre und hat Bitcoin in eine starke Rally geführt, die die Kryptowährung prompt zurück in bullisches Territorium befördert hat. Nach einer Bestätigung des 50-Tage-Trends als Support konnte der Kurs auch den 200-Tage-Trend ohne große Schwierigkeiten überwinden. Ein Ende hat die Rally erst auf dem Niveau von etwa 35.000 Dollar gefunden, dass das untere Ende des Aufwärtstrends symbolisiert, der seit Jahresanfang bestand und den Bitcoin Mitte August aufgeben musste.
Auch das Bullmarket-Supportband konnte zurückerobert werden und mit dem Anstieg bis auf 35.000 Dollar wurde zudem der charttechnische Widerstand im Bereich zwischen 30.000 und 32.000 Dollar aufgehoben, der das obere Ende des Seitwärtskanals symbolisiert hat, in dem Bitcoin sich bereits seit dem Ausbruch Mitte März diesen Jahres befunden hatte.
Eine charttechnische Bestätigung dieses Ausbruchs auf Wochensicht und ein Monatsabschluss über der Marke von 32.000 Dollar sind nun die nächsten wichtigen Schritte, um das bullische Momentum für den Kurs zu festigen. Umso bemerkenswerter ist die Preisperformance von Bitcoin, wenn man sich die Lage an den Gesamtmärkten anschaut. Bitcoin steht in einer engen Korrelation zu den Aktienmärkten, vor allem dem S&P 500 und dem Technologieindex Nasdaq.
Zudem herrscht eine inverse Korrelation zum US-Dollar-Kurs-Index. Beides hat Bitcoin mit der jüngsten Rally aufgehoben, da der DXY zuletzt wieder zurück an seinen Widerstand bei 107 Punkten geklettert ist und der S&P 500 charttechnisch derzeit überhaupt kein gutes Gesicht macht, da er sowohl den Aufwärtstrend seit dem Bärenmarkttief aus Ende 2022 eingebüßt hat als auch jüngst unter seinen 200-Tage-Trend gefallen ist.
Sollte der S&P keinen Halt in der Unterstützungszone zwischen 4.200 und 4.100 Punkten finden, gibt es im Grunde nur wenig Halt bis zur Marke von 3.800 Punkten. Sollte sich eine solche Korrektur ausspielen, steht für Bitcoin wahrscheinlich der wahre Test der nun durch das aktuelle Chartbild gemachten These an, ob die Kryptowährung eine Entkopplung von den traditionellen Finanzmärkten begonnen hat.
Warum steigt Bitcoin, während die Aktienmärkte fallen?
Die offensichtlichste Erklärung für den aktuellen Kursanstieg ist der neue Hype um einen Bitcoin-Spot-ETF, da der „iShares Bitcoin Trust“ von BlackRock auf der Website der Depository Trust and Clearing Corporation aufgetaucht ist. Das ist eine zentrale Clearingstelle, die den Abwicklungsprozess von Wertpapiertransaktionen in den USA handhabt. Die Interpretation am Markt lautet, dass bereits grünes Licht für den ETF gegeben wurde, die Information nur noch nicht veröffentlicht ist. Natürlich bleibt das ETF-Narrativ eine tragende Säule für das derzeitige Aufwärtsmomentum von Bitcoin. Allerdings könnte der Hauptgrund für den Preisanstieg – und vor allem die nun in Ansätzen erkennbare Entkopplung von den Finanzmärkten – ein ganz anderer sein.
Ein genauerer Blick auf die Anleihemärkte eröffnet hier einen möglichen Paradigmenwechsel, denn die Situation in diesem essenziellen Markt ist so angespannt wie kaum in der Vergangenheit. Wir haben derzeit das Szenario eines sogenannten „Bear Steepeners“. Das bedeutet, dass sich die Invertierung der Zinskurve – ein sehr sicherer Indikator für eine anstehende Rezession – langsam und auf eine ganz bestimmte Art und Weise wieder aufhebt. Normalerweise sind die Zinsen am langen Ende der Zinskurve (also von Staatsanleihen mit einer Laufzeit von bspw. 10 – 30 Jahren) höher als die am kurzen Ende (3 Monate bis 5 Jahre). Käufer wollen für die höhere Unsicherheit der Kreditvergabe in einem längeren Zeitraum mit mehr Rendite entschädigt werden. In chaotischen Marktphasen wie den heutigen invertiert sich die Kurve jedoch – aus mehreren möglichen Gründen.
Die momentan straffe Geldpolitik der Zentralbanken ist der maßgebliche Grund für den starken Anstieg der Zinsen am kurzen Ende, den diese werden durch den Leitzins beeinflusst. Anleger fliehen aufgrund der aktuellen Unsicherheit aus Aktien in Anleihen, um ihr Kapital zu schützen. Mittel der Wahl sind dabei in der Regel die 10-jährigen US-Staatsanleihen, die als einer der oder vielleicht sogar der sicherste Parkplatz für Kapital überhaupt gelten. Banken, Unternehmen, Pensionsfonds und viele weitere Marktteilnehmer parken ihr Geld in unsicheren Zeiten in diesen Anleihen. Deswegen invertiert die Zinskurve: Aufgrund der hohen Nachfrage nach Anleihen am langen Ende steigt deren Kurs und der Zins sinkt, denn Zins und Kurs einer Anleihe stehen in einer inversen Korrelation zueinander. Die Zinsen am kurzen Ende werden von den Zentralbanken bestimmt (und sind derzeit hoch).
Was passiert derzeit an den Anleihemärkten?
Nun kommen wir zur aktuellen Situation. Wir sehen derzeit einen „Bear Steepener“. Das bedeutet, dass alle Zinsen steigen, die der langfristigen Anleihen steigen jedoch stärker als die der kurzfristigen. Dadurch normalisiert sich die Zinskurve wieder. In der Vergangenheit hat sich die Invertierung der Zinskurve eher dadurch aufgehoben, dass die Notenbanken die Zinsen am kurzfristigen Ende wieder gesenkt haben – und das meistens aus negativen Gründen, beispielsweise aufgrund einer schweren Rezession oder einer Krise wie der in 2008 oder 2020.
Nun haben wir jedoch den eher seltenen Fall eines Bear Steepeners – die Zinsen langfristiger Anleihen steigen schneller als die der kurzfristigen, weil keiner in die langfristig laufenden Anleihen investieren will (inverse Korrelation: wenn die Kurse fallen, steigen die Zinsen der Anleihen). Woran könnte das liegen? Es gibt zwei Hauptgründe: Die prekäre Situation im US-Bankensektor und die perspektivische Schuldensituation der US-Regierung. Die Banken in den USA sind in einem desolaten Zustand, da die historisch straffe Geldpolitik der Federal Reserve viele Anleihen in den Balancesheets der Banken zu einer tickenden Zeitbombe gemacht hat. Banken investieren Kundengelder, um eine Rendite zu erwirtschaften. Das Mittel der Wahl sind in der Regel Anleihen.
Das funktioniert, solange die Zustände an den Anleihemärkten normal sind und keine zu große Welle an Kunden ihre Einlagen wiederhaben wollen. Doch die starken Zinserhöhungen haben die Kurse der Anleihen in den Balancesheets der Banken in den Keller gedrückt. Das ist kein Problem, solange die Kunden nicht an ihr Geld wollen, da die Banken bei Laufzeitende der Anleihen den vollen Kreditbetrag zurückerhalten. Wollen zu viele Kunden jedoch vorher an ihr Geld, ist das ein Problem. Banken müssen die Anleihen mit Verlust abstoßen, um die nötige Liquidität zu erhalten. Deswegen ist unter anderem die Silicon Valley Bank im März diesen Jahres implodiert. Die Zinsen kurzfristiger Anleihen, die für Unternehmen wie Privatanleger bspw. über Geldmarktfonds einfach verfügbar sind, gestalten sich als wesentlich attraktiverer Parkplatz für Geld als das Bankkonto.
Die Banken sitzen also auf einer – bei weiter steigenden Zinsen – zunehmend größer werdenden Zeitbombe, die allein deswegen noch nicht hochgegangen ist, weil die Federal Reserve im März ein Notfallprogramm ausgerufen hat, dass es den Banken erlaubt, die im Verlust stehenden Anleihen zum „Originalpreis“ gegen Liquidität einzutauschen. Ein weiterer Grund für den Bear Steepener ist die Schuldensituation der USA und die Herausgabe immer neuer Staatsanleihen. Die USA hat bereits seit Jahrzehnten ein Haushaltsdefizit. Sie leiht sich mehr Geld an den Anleihemärkten als sie durch Steuern einnimmt. Das war lange kein Problem, da es nie einen Zweifel daran gab, dass die Wirtschaftssupermacht und Herausgeber des US-Dollars USA ihre Schulden zurückzahlen wird. Wenn man beim Spiel Monopoly ein Spieler und die Bank gleichzeitig ist, dann kann das durchaus dazu verleiten, sorglos mit der eigenen Geldpolitik umzugehen.
Nicht umsonst heißt es in den Monopoly-Regeln: „Die Bank geht niemals bankrott! Der Bankhalter kann zusätzliches Geld ‚drucken‘, indem er die Werte auf kleine Zettel schreibt.“ Erschreckenderweise erklärt das die Schuldenpolitik der USA der letzten Jahrzehnte recht präzise. Doch irgendwann gerät die Glaubwürdigkeit an ihr Limit. Und staatliches Geld beruht letzten Endes nur auf dem Glauben an den Wert des Geldes und der politischen Macht, die diesen Glauben durch wirtschaftliche und militärische Stärke aufrechterhält. Die derzeit hohen Zinsen lassen die Schuldenteufelsspirale der USA sich jedoch immer schneller drehen – alleine im letzten Monat haben die USA neue Schulden in Höhe von über 500 Milliarden (!) Dollar gemacht.
Der nun ausgebrochene Konflikt in Israel könnte das Fass allerdings zum Überlaufen gebracht haben. Im Endeffekt stehen die USA nun davor, nicht nur einen sondern gleich zwei kostspielige Kriege zu finanzieren, deren Ende unabsehbar ist. Neben den hunderten Milliarden, die bereits in die Ukraine geflossen sind, muss jetzt perspektivisch auch der Geldhahn nach Nahost richtig aufgedreht werden, je nachdem wie sehr die Lage dort eskaliert. Hinzu kommt noch das grundsätzliche Haushaltsdefizit, das bereits ohne diese Kriege extrem hoch wäre.
Darum sind Anleihen out und Bitcoin und Gold in
Der Bear Steepener in der Zinskurve symbolisiert letzten Endes das schwindende Vertrauen der Anleihemärkte in die USA. Die Kombination aus dem kriselnden Bankensektor und der Schuldensituation der USA lassen nur einen Ausweg zu: massives neues Gelddrucken und damit einhergehend eine zunehmende Abwertung des US-Dollars. Warum sollte man eine 10-jährige oder gar 30-jährige Staatsanleihe halten, selbst wenn der Zins auf 10% oder noch höher steigt, wenn die Kaufkraft des Dollars angesichts der beschriebenen möglichen Perspektive um ein Vielfaches stärker fallen wird?
Im Umkehrschluss lässt sich dadurch auch ein möglicher Grund für den starken Anstieg von Bitcoin und auch Gold finden. Nicht inflationierbare Assets sind angesichts dieser möglichen Perspektiven der beste Parkplatz für Kapital. Für Bitcoin gilt das aufgrund seines sehr hohen Autonomie-Grades ganz besonders. Ob nun wirklich eine Entkopplung Bitcoins von den Finanzmärkten begonnen hat, ist noch nicht ersichtlich. Doch die Weichen dafür wurden bereits in den letzten Jahren gestellt. Ich möchte an dieser Stelle das neuste Essay von Arthur Hayes, einen im Krypto-Sektor bekannten Makro-Strategen und Investor, empfehlen, welches einen wesentlich umfassenderen Einblick in die in dieser Kolumne beschriebenen Dynamiken liefert und von dem ich die Inspiration für diese Argumentation erhalten habe. Sie können das Essay hier finden.
Denken Sie langfristig!
In dieser Kolumne kratze ich lediglich an der Oberfläche des Krypto-Sektors. Wenn Sie auf der Suche nach umfassenden Guides, Analysen, Investment-Ideen und Projekt-Reviews zum Themenfeld Krypto sind, dann werfen Sie einen Blick auf meinen Kanal oder direkt in die neuste Video-Ausgabe von dencentralist, in der ich eine Kurzanleitung für Neueinsteiger in genau dieser Marktphase gebe.
Author: Victoria Guerrero
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Name: Victoria Guerrero
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